Leider ist es an der Zeit, Abschied von Hermannstadt zu nehmen. Wir sind um 7.00 Uhr die Ersten, die den Frühstücksraum betreten, um nochmal aus dem Vollen zu schöpfen. Das Dach des prächtig ausgestatteten Raumes öffnet sich wie von Geisterhand und gibt den Blick frei auf die klassizistische Fassade des Innenhofes und auf einen makellos blauen Himmel. Wehmütig schweifen unsere Blicke noch einmal über die Altstadt und in Gedanken verabschieden wir uns von unserem Luxushotel. Diesmal fahren wir eine andere Strecke, sind aber auch wieder ziemlich lange auf Landstraßen unterwegs und blicken erneut auf zahllose „ausgebombte“ Häuser und Industrieanlagen. Es gäbe also noch viel zu tun, doch die rumänischen Bauarbeiter müssen ja dem reichen Deutschland ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Bereits einige Kilometer vor der ungarischen Grenze beginnt es zu regnen und man könnte meinen, der Himmel weine, weil wir das Land verlassen.
Der Regen begleitet uns durch die ungarische Tiefebene, doch kurz bevor wir unser heutiges Ziel Wien erreichen, drückt die Sonne mit voller Macht durch die Wolken und in den Straßen der alten K.u.K.-Metropole misst der Bordcomputer an Wilfrieds Bus bereits wieder dreißig Grad. Unsere heutige Absteige befindet sich im Westen der Stadt, aber durchaus zentrumsnah. Sahen wir im Hotel in Sibiu eher die Reichen und die Schönen flanieren, so begegnet man in unserer Wiener Herberge eher rumänischen Wanderarbeitern. Aber was wollen wir klagen, wir haben ein Dach über dem Kopf, eine Dusche und vor allem rattert nicht wie in Budapest alle Viertelstunde eine S-Bahn vorbei. Halt, ich muss meine gerade getätigte Aussage ein wenig revidieren, denn unmittelbar unter uns befindet sich der Lieferanteneingang eines Supermarktes.
Mit S- und U-Bahn erreichen wir den Stephansplatz mit dem kolossalen Wahrzeichen der Stadt, dem Stephansdom und begeben uns auf die Suche nach einem Wiener Schnitzel, was sich gar nicht so einfach gestaltet. Vorher bestaunen wir in unmittelbarer Nähe der Kirche den sogenannten Nagelbalken.
Mit diesem Holz hat es eine besondere Bewandtnis. Jeder reisende Geselle, der in Wien ankam, schlug dort einen Nagel ein, was ihm Glück bringen sollte auf seiner Wanderschaft. Die Gesellen in Hermannstadt haben diese alte Tradition in der CASA CALFELOR wieder zum Leben erweckt. Wir flanieren auf der Prachtmeile der Kärntner Straße, auf der man zwar gut shoppen kann, aber die hiesige kulinarische Spezialität suchen wir hier vergebens. Auf dem Weg Richtung Hofburg halten wir einen Rikscha Fahrer an, der uns wieder zum Stephansdom zurück schickt. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen, und da wir den ganzen Tag praktisch nichts gegessen haben, sinkt unsere Laune deutlich. Ein Polizist und ein Hotelportier, da sich angeregt unterhalten, geben uns unisono den Tipp, es beim „Figlmüller“ zu versuchen. Wir könnten natürlich auch in eines der zahlreichen ausländischen Lokale gehen, doch wir sind uns einig, dass wir es genauso halten wollen wie in Budapest, wo wir so lange suchten, bis wir ein zünftiges Gulasch bekommen haben. Beim Geheimtipp „Figlmüller“ sehen wir eine endlose Schlange von Menschen, die weit in die Gasse hineinreicht, und die eben noch aufgekommene Zuversicht weicht wieder einer düsteren Stimmung.
Doch plötzlich sieht einer an einem modernen Gebäude den Schriftzug „Figlmüller“ und wir stürmen hinein. Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine Dependance des geschäftstüchtigen Schnitzelwirtes. Unsere Hoffnung wird gedämpft, denn mehrere Angestellte sind sich nicht einig, ob sie uns einen Tisch geben sollen. Wir versichern, dass wir nicht randalieren und unsere Zeche selbstverständlich begleichen werden und endlich werden wir an einen freien Tisch geführt. Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen, so heißt es in einem Sprichwort, und wir sind uns einig, dass dies der Wahrheit entspricht. Die Vorfreude steigt, und endlich werden die Teller mit dem panierten goldbraun gebratenen Kalbfleisch gebracht. Mit einem seligen Gesichtsausdruck genießen wir das zarte und sehr wohlschmeckende Schnitzel – das Warten hat sich also gelohnt! Der Weg zurück bietet leider eine unangenehme Überraschung, denn die U-Bahnstation, an der wir aussteigen müssten, befindet sich gerade im Umbau, sodass wir gezwungen sind, einen ziemlich langen Marsch durch die Wiener Nacht zu bewältigen. Aber dieser Verdauungsspaziergang hat natürlich auch sein Gutes. Unbehelligt von aufdringlichen Damen wie in Budapest, als zweien von uns eindeutige Angebote gemacht wurden, erreichten wir unser Hotel und legten uns müde aber zufrieden in unsere Bettchen…